Probeproduktionen im Schloßtheater
Mit den voranschreitenden
Arbeiten an der Erneuerung des Schloßtheaters erwägt die Stiftung
des Barocktheaters des Schlosses Český Krumlov verstärkt die
Möglichkeiten seiner weiteren Nutzung. Schon heute steht fest, daß
das Schloßtheater
in Český Krumlov einer der wenigen Orte auf der Welt sein wird,
wo man im originalen Barockmilieu das Theaterrepertoire des 17. und
18. Jahrhunderts wird studieren und realisieren können unter
Benutzung sämtlicher zeitgenössischer Interpretationsverfahren. Die
Stiftung bemüht sich also nicht nur um die Erneuerung des Gebäudes
und seiner Einrichtung, sondern sie würde gern die einzigartige
Gelegenheit des Kennenlernens und Wiederbelebens des Phänomens der
barocken Theaterkultur nutzen. Die technischen und stilistischen
Voraussetzungen des einzigartigen und komplett erhaltenen
Barocktheaters erklären so auf natürliche Weise die kompromißlose
Neigung der Stiftung zur sog. authentischen Interpretation der
Barockoper, also zu einer Interpretation, die scheinbar veraltete
Musikinstrumente, zeitgenössische vokale und instrumentale
Techniken und auch die Barockregie und Inszenierungsverfahren
inklusive der Bewegung, Mimik und Gestik der Sänger zur Geltung
bringt. Die Stiftung des Barocktheaters versammelt schon eine
längere Zeit eine Gruppe von jungen Interpreten - Instrumentalisten
und Sängern, vereint im Ensemble "Cappella
Accademica" - die sich gerade die Aufführung der stilgerechten
Barockoper als Ziel gesetzt haben.
Im Sommer 1995 leitete die Stiftung des Barocktheaters in Zusammenarbeit mit dem Institut für Denkmalpflege in České Budějovice, dem Ensemble Cappella Accademica und dem Ensemble der Schloßtheatermaschinisten regelmäßige Betriebsproben im Schloßtheater ein. Diese zu Anfang völlig nichtöffentlichen Vorstellungen entwickelten sich nach und nach zu kleinen Probeproduktionen, bei welchen Fachleute, bedeutende Besucher oder Sponsoren der Stiftung des Barocktheaters kurze Auszüge aus Barockopern zu sehen bekommen können.
Das, was einer solchen kleinen Theaterproduktion vorausgeht und auch dann darauf folgt, kann man als Forschungstätigkeit bezeichnen - als Suche nach Antworten auf Fragen, betreffend zum Beispiel die Beleuchtung, die Toneffekte, die Auswahl der Kostüme, des Schminkens, die Nutzung von szenischen Effekten, die Synchronisierung des Auswechselns der Bühnenbilder u.ä. Wenn die Antwort gefunden ist, folgt ihre Bestätigung und das Ausprobieren direkt im Raum des Barocktheaters. Dann kommen Stunden, Tage, Monate und auch Jahre von Arbeit, die dazu notwendig sind, damit sich die Interpreten das Können aneignen, das schon mehr als zweihundert Jahre vergessen war.
Ein solches Verfahren gilt auch für das Gebiet des zeitgenössischen schauspielerischen Ausdrucks, der sich prinzipiell vom heutigen schauspielerischen Ausdruck unterscheidet. Im Unterschied zu der modernen, größtenteils realistischen Auffassung basierte der barocke schauspielerische Stil darauf, daß jeder Affekt und sein Wechseln unterstützt wurde von der geeigneten Körperhaltung, dem Ausdruck des Antlitzes und der Gestik. Jedwede naturalistische Verbildlichung des realen menschlichen Benehmens oder menschlicher Tätigkeit wurde als ungeeignet angesehen und als wenig künstlerisch. Die Sänger und Schauspieler wurden dazu erzogen,
daß sie anschaulich und möglichst expressiv den Inhalt des Textes vorführten und so auf die Gefühle der Zuseher wirkten mit derselben Kraft, mit welcher noch heute auf uns die angespannten Posen der barocken Statuen, Statuengruppen und Bilder wirken. Dazu diente der allgemein akzeptierte Kodex von Positionen und Bewegungen, die unmittelbar vom Publikum aufgenommen und miterlebt wurden - diese schauspielerische Kunst konnte oft wirksamer sein als der Text und die Musik, so daß "auch der Taube verstehen könnte, worum es sich handelte und sämtliche Emotionen miterleben konnte", wie wir in den zeitgenössischen Beschreibungen berühmter Schauspieler oder Sänger lesen können. (Heute ist leider diese Bewegungslehre vielen zeitgenössischen Regisseuren insoweit fremd, daß sie lieber alle möglichen Aktionen erfinden im Bemühen die Barockarien "zu beleben", wobei sie allerdings völlig gegen deren Inhalt handeln).
Wenn wir uns die Interpretationspraxis der Opernvorstellung des 18. Jahrhunderts aneignen wollen, reicht es bei weitem nicht aus, nur den zeitgenössischen schauspielerischen und sängerischen Stil zu studieren, sondern man muß eine ganze Reihe von anderen Elementen eingliedern, wie zum Beispiel die Frage der zeitgenössischen gesellschaftlichen Konventionen, der Hofetikette, der Mode und der ästhetischen Ansichten überhaupt. Eine umfassende Vorstellung können wir nicht aus einer einzigen historischen Quelle gewinnen, sondern es ist notwendig, so viel wie möglich scheinbar mit dem Thema nicht zusammenhängende Quellen zu versammeln (zeitgenössische Traktate, Briefe, Memoiren, Kritiken und selbstverständlich Ikonographien).
Für alle beteiligten Interpreten und Forscher ist aber vor allem die Tatsache grundlegend, daß sie ihre bisherigen theoretischen Erkenntnisse direkt im authentischen Milieu überprüfen können. Das bedeutet für sie nicht nur einen großen Schritt vorwärts in der Bemühung, die Problematik des barocken Bühnenausdruckes in breitesten Zusammenhängen zu begreifen, sondern auch einen ständigen Appell zum weiteren Studium.
(om)