Verbindungsgang
(zwischen dem Minoritenkloster, dem Schloß und den
historischen Gärten)
Unter den Dächern des Krumlover Schlosses und der angrenzenden Häuser auf dem Latrán blieb bis in die heutige Zeit zum Großteil ein einmaliges System von Brücken und Gängen erhalten, das zur Zeit von Wilhelm von Rosenberg das Schloß mit den Klöstern der Minoriten und Klarissinnen verband, mit dem ehemaligen Witwensitz der Anna Rosenberg von Rogendorf auf der Stelle der heutigen Bierbrauerei Eggenberg und dem daran angrenzenden Renaissancegarten mit Volieren und einem Ziergarten.
Später, in der Barockzeit, erschienen die mächtigen, damals mit Brettern beschlagenen Brücken auch auf der anderen Seite des Schloßareals, um den Gästen der Herren von Eggenberg einen bequemen Zugang in das Schloßtheater und den oberen Zierschloßgarten zu ermöglichen (Schloßgarten in Český Krumlov). Die gesamte Länge der gedeckten Trasse zwischen den oben angeführten damaligen Mündungen in den Gärten ist fast 900m. Wenn wir noch die Höhenunterschiede und die Tatsache hinzurechnen, daß der Gang zwischen dem Maskensaal des Schlosses und dem Schloßtheater dreistöckig ist, kommen wir auf fast einen Kilometer.
Das ist eine mehr als respektable Entfernung, besonders wenn wir uns dessen bewußt sind, daß die weitere Ausdehnung der mittelalterlichen Stadt Krumlov in den 420 m Befestigungsmauern auf dem anderen Ufer des Flusses Vltava bestand. Es bietet sich auch der Vergleich mit dem berühmten Vasari-Gang in Florenz an, erbaut im Jahre 1565, der in einer Länge von 500 m den Veccio-Palast mit dem Boboli-Garten und dem Pitti-Palast verband. Dieser konnte Inspiration oder auch direkte Vorlage des gewagten Projektes der Herren von der Rose sein.
Die bizarren Brückenbauten, die die einzelnen Objekte auf der Trasse verbinden, können nicht der Aufmerksamkeit der Besucher von Český Krumlov entgehen. Begeben wir uns also, vorerst nur in unseren Vorstellungen, auf den ungewöhnlichen Weg über die Dachböden der Häuser, über Holz- und Steinbrücken, aus einem Garten in den anderen.
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Den Eingang in den Gang finden wir auf der zweitniedrigsten Terrasse des oberen Schloßgartens (Schloßgarten in Český Krumlov). Von dort gehen wir über den gedeckten hölzernen Gang, der auf mächtigen Steinpfeilern ruht, die Fenster bieten herrliche Ausblicke auf beide Seiten. Hinter dem Weg, der hinauf führt über eine Felsenenge, verschwindet die ganze Konstruktion im Dachstuhlraum der Gebäude des Schloßtheaters und führt durch dieses hindurch, ohne die Richtung zu verändern. Eine weitere Brücke, die Mantelbrücke, schon mehrstöckig, überwindet kühn eine vertiefte und verbreiterte Felsenkluft, die ursprünglich die Burg, später das Schloß schützte.
Einige Meter unter uns führt ein ähnlicher Gang aus dem Maskensaal direkt in die Fürstenloge und auf den Balkonteil im Zuschauerraum des Theaters. Wir betreten aber direkt das oberste Stockwerk des Schlosses und befinden uns auf der Galerie über dem Tanzsaal.
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Die ehemalige Obere Burg, die durch Zubauten völlig den Raum um die zwei oberen Schloßhöfe abgeschlossen hat, ist schon an sich ein Labyrinth. Auf die erkennbare Fortsetzung unseres Ganges stoßen wir im Dachstuhl des Schmalzkasten aus der Zeit der Renaissance (Schloß Nr. 59 - Schmalzkasten)), ursprünglich ein Treppenturm, der den Zugang in die Burg von der östlichen Seite ermöglichte. Aus diesem führt eine kurze Hängetreppe in Strebekonstruktion, die in den Dachbodenraum über der Unteren Burg einmündet, errichtet im Jahre 1578 durch Meister Baldassare Maggi d´Arogno für die Bedürfnisse der neuen Burggrafschaft mit der Schloßbibliothek (Schloß Nr. 59 - Neue Burggrafschaft). Wir überqueren über Stege aus Holz den Luftraum unter dem Dach und zweigen im rechten Winkel nach rechts ab.
Im Schloßflügel ist nun
unter uns das Tor zwischen dem I. und II. Schloßhof. Die
Fortsetzung des Ganges in den ältesten Teil des Schlosses, genannt
Hrádek - Kleine Burg - (Schloß
Nr. 59 - Kleine Burg) ist seit 1910 unterbrochen. Beide Gebäude
wachsen aber durch ein schmales Verbindungsstück zusammen. Weiter
umgeht der Gang auf elegante Weise den zylindrischen Turm und mit
einem mächtigen gemauerten Bogen überschreitet er den Bärengraben.
Es folgt der Dachboden der alten Burggrafschaft (Schloß
Nr. 58 - Alte Burggrafschaft) mit hohem Dachstuhl gotischen
Typs und mit den Überresten eines eingelegten Mantels des Ganges.
Der Schwibbogen über den Schloßtreppen trug einen Gang mit einem
Fensterchen an jeder Seite noch vor nicht ganz 120 Jahren, wie
zeitgenössische Fotografien aus dem Museum in Krumlov bezeugen. Das
anknüpfende Gebäude der ehemaligen Pferdestallungen (Schloß
Nr. 232 - Pferdestallungen) ist weiter verbunden durch einen
einstöckigen Durchgang mit dem rückwärtigen Teil des Bürgerhauses
Schloß
Nr. 46 - Apotheke, das mit seinem Eingang schon auf den Latrán
gerichtet ist. Vom Dachboden können wir den kleinen Gang oberhalb
des roten Tores (Rotes
Tor) betreten, was ein wichtiger Teil ist, der die Grenze
zwischen dem Areal des Adelssitzes und den lebendigen Gassen der
mittelalterlichen Stadt bildet. Die Öffnung, die in das Objekt des
ehemaligen herrschaftlichen Speichers mit Salzstadel führt
(
Schloß Nr. 57 - Salzstadel) ist zugemauert, wie auch der
Durchgang aus dem Speicher in eines der weiteren Bürgerhäuser. Von
diesem Haus wissen wir, daß es am Ende des 16. Jahrhunderts dem
Rosenberger Diamantenschneider Hanuš Robenhaupt gehörte. Irgendwo
an dieser Stelle entstand im Jahre 1610 ein großes Feuer, dessen
rasche Ausbreitung gerade auf die gedeckten Gänge und Pawlatschen
zurückgeführt wurde. Von der Zeit an werden auch die
Verbindungsgänge nach und nach mit gemauerten Feuerschutzwänden und
mit blechbeschlagenen Türen versehen oder überhaupt zugemauert.
Über die breiteste Latrán-Gasse führt abermals ein hoher gemauerter
Bogen einer gedeckten Brücke. Ihre Südseite wird bis heute von
gemalten Wappen des Wilhelm von Rosenberg und seiner dritten Gattin
Anna Marie von Baden geschmückt. Das langgezogene Gebäude hinter
der Brücke gehörte früher zum wirtschaftlichen Hinterland des
Minoritenklosters,
das ungeeignete zeitgenössische Dach mit umgekehrter Kehle bedeutet
für uns das letzte ernsthaftere Hindernis beim Zugang in die
Fronleichnams-Minoritenkirche. Die Fortsetzung des Ganges aus der
Kirche zum Haus der Anna von Rogendorf und in den neustädtischen
Schloßgarten gab es zwar im 16. Jahrhundert schon, wie die
Nachricht über das vernichtende Feuer aus dem Jahre 1610
beschreibt, aber sein Aussehen bleibt wegen der späteren baulichen
Instandsetzungen unbekannt. Der Garten selbst wurde schon am Ende
des 18. Jahrhunderts in kleinere Teile parzelliert, trotzdem blieb
er aber bis in die heutige Zeit unverbaut.
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Das beachtenswerte System der Verbindungsgänge bot der Schloßgesellschaft die Möglichkeit der freien Bewegung zwischen den wichtigen Stellen in der nächsten Umgebung des Schlosses. Daß es sich nicht nur um die persönliche Sicherheit und den Schutz gegen die Ungunst des Wetters handelte, ist offensichtlich. Es reicht, wenn wir uns dessen bewußt werden, daß die Flächen der beiden unteren Schloßhöfe überwiegend prosaischen wirtschaftlichen Zwecken dienten. Ebenso können wir uns über die Reinheit der Gassen auf dem Latrán an der Wende des Mittelalters zur Neuzeit keine Illusionen machen. Ein Spaziergang über die Dächer,
angereichert durch
herrliche Ausblicke auf die historische Stadt, hat einen einmaligen
Zauber auch noch nach Jahrhunderten in einer Zeit, in der uns in
den großen Städten nicht einmal mehr Glasaufzüge überraschen, die
an den Wänden der Wolkenkratzer in Hunderte von Metern zählende
Höhen klettern. Die erwogene abermalige Durchgängigkeit der Gänge
wird eine Möglichkeit sein, wie man einer ungewöhnlichen
Baudenkwürdigkeit Leben und verlorengegangenen Sinn zurückgeben
kann.
(jb)