Die kaiserliche Jagd
Die Besucher der südböhmischen Schlösser Český Krumlov, Hluboká oder Třeboň werden bei der Schilderung der Geschichte der Adelsfamilie von Schwarzenberg oder vor dem Portrait des Fürsten Adam Franz gewöhnlich meist von der Geschichte des unglücklichen Endes dieser Persönlichkeit ergriffen. Er wurde bei einer Hirschjagd von Kaiser Karl VI. selbst erschossen. Manchmal wird der Schilderung die Behauptung hinzugefügt, daß es sich eigentlich um keinen unglücklichen Zufall gehandelt habe, sondern daß es aus diesen oder jenen Gründen geschehen wäre. Es fehlen sogar nicht verschiedene Andeutungen von Skandalenthüllungen oder einer pikanten Geschichte. Wie sieht also die historische Wahrheit aus und was ist damals bei der Jagd in Brandýs eigentlich passiert? In der Literatur über die Geschichte der Familie von Schwarzenberg beschreibt man dieses tragische Ereignis nur ganz allgemein, so daß nichts anderes übrig bleibt, als sich in damalige Quellen einzulesen. Es handelte sich doch um ein Menschenleben, und dazu noch um das eines regierenden Fürsten und Krumauer Herzogs.
Fürst Adam Franz zu Schwarzenberg (1680 - 1732) hat sich in die südböhmische Geschichte vor allem dank der Tatsache eingeschrieben, daß er den von seinem Vater Ferdinand übernommenen Domänen und Gütern (am bedeutendsten von ihnen waren Třeboň und Hluboká) im Jahre 1719 die Erbschaft der Fürsten von Eggenberg angeschlossen hat (Český Krumlov, Prachatice, Netolice, Vimperk, Orlík und weiterer Besitz), wodurch er ein Familiendominium schuf, dessen Umfang sich in späteren Generationen nur wenig geändert hat. Er war seit 1701 mit Eleonora Amalia von Lobkowitz verheiratet (über diese Ehe liefen die verschiedensten Gerüchte um), er wurde zum ersten Krumauer Herzog seines Geschlechts, aber auch zum Muster eines Barockkavaliers, der am Kaiserhof verschiedenste Funktionen einnahm. Er war aufeinanderfolgend: Hofmarschall Kaiser Karls VI., sein Geheimrat und am Ende, im Jahre 1720 wurde er zum obersten Stallmeister. Er gehörte also zu den Leuten, die sich jahrelang in der nächsten Umgebung des Herrschers aufhielten und zweifellos eine Reihe seiner Entscheidungen und Taten beeinflußten. Er wurde als kunstliebender Mäzen und Bauherr berühmt (zum Beispiel des Schlosses Ohrada bei Hluboká). Er war jedoch auch als eifriger Unterstützer des Kultes Johanns von Nepomuk bekannt (an dessen Grab er sich angeblich nach einige Jahre dauerndem Streit mit seiner Ehefrau versöhnte,) sowie als leidenschaftlicher Jäger. Diese Leidenschaft wurde ihm am Ende zum Verhängnis. Der zweite Protagonist unserer Geschichte, Kaiser Karl VI. (1685 - 1740), war der jüngere Sohn des Kaisers Leopold I. und er trat die Herrschaft im Jahre 1711 nach dem vorzeitigen Tod seines Bruders Joseph I. an. Er hatte schon Erfahrungen aus den Kämpfen um den spanischen Thron, der nach dem Aussterben der spanischen Verwandten frei wurde, auf den er jedoch zugunsten seines Gegners Philipp von Anjou verzichten mußte, weil dessen Verbündete vor einer möglichen Verbindung der Besitzungen der spanischen und österreichischen Habsburger erschraken. Karl VI. erwarb Ruhm vor allem als der letzte Habsburger in männlicher Linie, dessen Nachfolgerin durch die pragmatische Sanktion seine älteste Tochter Maria Theresia wurde. Obwohl seine Regierung durch zahlreiche, nicht eben glücklich geführte Kriege gekennzeichnet ist, hatte er auch eine Reihe von anderen Interessen, zum Beispiel Kunst und besonders Musik. Seine größte Leidenschaft war jedoch die Jagd, der er sich bei jeder möglichen Gelegenheit widmete und in der er manche wirklich "bemerkenswerte" Leistungen erreichte. Obwohl er darin unter den Aristokraten seiner Zeit keine Ausnahme war, zeichnete ihn eine seiner Jagden mehr, als er gewünscht hätte.
Unsere Geschichte spielte sich zu Beginn des Sommers 1732 ab. Český Krumlov, die Hauptresidenz der Schwarzenberger, stand damals im Zeichen der Vorbereitungen auf den Kaiserbesuch, zu dem es bei der Rückkehr des Landesherrn von der Kur in den westböhmischen Bädern, wo er mit der Kaiserin Elisabeth Christine war, kommen sollte. Der Kaiser und die Adeligen aus seiner Begleitung, zu dem auch Schwarzenberg gehörte, hielten sich in Prag auf, um sich hier, wie es damals üblich war, mit Jagden und Hetzjagden in der Umgebung der Hauptstadt des Königreichs zu vergnügen. Eine davon war auch die Hirschjagd in der Kaiserdomäne in Brandýs nad Labem, die am 10. Juni 1732 stattfand. Die Teilnehmer der Jagdkurzweil versammelten sich in dem damaligen Jagdrevier, sie stellten sich im Gebüsch auf und warteten auf die Gelegenheit zu schießen. Gerade in diesem Augenblick kam es zu einem verhängnisvollen Fehler, denn manche von ihnen, namentlich der Kaiser und sein höchster Stallmeister, stellten sich so unglücklich auf, daß sie nur 80 Schritt voneinander entfernt waren (etwa 60 m) und dazu noch in den Bahnen der Geschosse standen. Als die Treiber aus dem alten Röhricht am Fluß fünf Hirsche heraustrieben, floh einer von ihnen direkt zu der Wiese mit dem Stand der adeligen Jäger, und zwar direkt zwischen den Kaiser und den Fürsten. Auf das gegebene Zeichen schoß Habsburg, der als Herrscher Vorrang hatte, aber er traf das Ziel nicht und die Kugel blieb im Zaun des Branntweinbrenners aus Brandýs stecken. Die Jagd wurde jedoch fortgesetzt, und einer der Hirsche lief wieder auf die verhängnisvolle Wiese hinaus. Diesmal war die kaiserliche Majestät ein bißchen erfolgreicher. Den Hirsch verfehlte er wieder, aber nicht den Schwarzenberger. Das kaiserliche Geschoß drang ihm durch die linke Hüfte in den Körper, es ging durch die Därme und durch die rechte Niere und endete im Fettgewebe unter der rechten Hüfte. Er schrie vor Schmerz und fiel zu Boden.
Die Jagdkurzweil wurde hiermit begreiflicherweise beendet. Die letzten Momente des Lebens von Fürst Adam Franz können wir aufgrund der Aufzeichnung seines Kammerdieners Viktor Jaus verfolgen, die für Bedürfnisse der Familie und vielleicht auch wegen des Erbschaftsverfahrens gemacht wurde. Der Verletzte wurde er auf einem kleinen Bauernwagen ins Schloß nach Brandýs transportiert und wurde hier ins Zimmer des Wirtschaftsverwalters rechts von dem Tor gelegt. Auf seinen Wunsch wurde schnell der Dekan aus Brandýs geholt, um dem Verletzten die letzte Ölung zu geben und ihm die Beichte abzunehmen. Nach dem Befund des kaiserlichen Chirurgen Antonín Hautzinger, der auf der Jagd auch anwesend war und den Verletzten gleich behandelte, war die Wunde tödlich. Diese Hiobsbotschaft wurde gleich dem Kaiser mitgeteilt, der, sichtlich erregt, den Hut und die Perücke von sich warf und gleich zum Sterbenden gehen wollte. Seine Begleiter rieten ihm jedoch ab mit dem Argument, daß er abwarten solle, wie sich dazu der angeschossene Fürst äußert; es sei nicht sicher, daß er sich über den Besuch freuen würde. Schwarzenberg hat wirklich den Besuch mit folgenden Worten abgelehnt: "Der Kaiser soll sich nicht zu mir bemühen, er soll sich auch nicht über das Unglück grämen, denn es ist der Wille des Höchsten gewesen, daß es geschehen ist." Nach der Übermittlung dieser Nachricht verzichtete der Kaiser wirklich auf den beabsichtigten Besuch, obwohl er bis zu dieser Zeit an der gleichen Stelle wartete, wo der verhängnisvolle Schuß gefallen war. Als er erfuhr, daß dem Fürsten die letzte Ölung gegeben wurde, verließ er die Jagd ganz erschüttert und kehrte rasch nach Prag zurück.
Inzwischen ließ sich der mit Gott versöhnte Fürst die Jagdbekleidung ausziehen, und er erwartete Tod nur in der Gesellschaft des persönlichen Jägers Jan Jiří Reinhard und des schon erwähnten Kammerdieners. "Ich stelle so viele Leute an", bemerkte er zu der eingetretenen Situation, "und jetzt muß ich kümmerlich in einem fremden Bett liegen und habe keinen anderen bei mir als meinen Jäger. So ist es mit uns Menschen. Ich bin ganz naß und habe kein einziges Hemd zum Umkleiden. Jesus, mein Retter! Gib mir Kraft und erbarme dich über mich!" Dann blutete er aus der Harnröhre, und so jammerte er: "Jetzt ist es zu Ende mit mir. Gott wollte es. Es geschieht kein Wunder und ich bin bereit zu sterben." Er ließ dann noch einige weitere Leute aus seiner Begleitung rufen, er befahl die Tür zu verschließen und forderte alle Anwesenden auf, auf die Knie zu fallen. Er sagte: "Hiermit segne ich meine Ehefrau. Sagt ihr, daß ich mich von ihr verabschiede. Sie soll meinen Sohn (der damals noch minderjährige Joseph Adam zu Schwarzenberg) gut erziehen, sie soll sich aller meinen Leute und Untertanen annehmen und soll auch mit den zukünftigen Vormündern meiner Söhne gut auskommen. Ich segne meinen Sohn. Sagt ihm, er soll seiner Mutter gehorchen und ihr eine Stütze sein. Auch euch segne ich und danke euch für den erwiesenen treuen Dienst. Verlaßt meinen Sohn nicht."
Dann wurde die Tür wieder aufgeschlossen und der kaiserliche Chirurg trat ein. Der Fürst entließ ihn und befahl ihm mit folgenden Worten, zum Kaiser zurückzukehren: "Der Herr soll nach Prag zurückkehren, denn seine kaiserliche Majestät erschrak sicher sehr und es wird nötig sein, ihn zur Ader zu lassen. Sagen Sie dem Kaiser, daß ich vor ihm auf die Knie falle und ihn bitte, daß er sich meiner Frau, meines Kindes, meiner Leute und Untertanen annimmt und daß er sie nicht verläßt. Es ist die Entscheidung des Himmels, daß ich von Seiner Hoheit erschossen wurde. Nach meiner Ankunft im Himmel werden ich Gott bitten, daß er ihm einen Nachfolger und eine lange Regierung gönnt. Der Kaiser soll mein Schicksal den Tschechen nicht übelnehmen."
Am 11. Juni um zwei Uhr in der Nacht kamen aus Prag zwei vom Kaiser gesandte Kapuziner. Bei ihren Gebeten begann der Fürst zu spüren, daß sich sein Ende nähert. Er sah und hörte nichts mehr, sein Herz schlug unregelmäßig. Um drei Uhr nach Mitternacht, etwa zwölf Stunden seit dem Augenblick der Verletzung, verschied Adam Franz zu Schwarzenberg. Sein Leichnam wurde dann in einen gewöhnlichen Sarg gelegt und in einem Zug der Diener und Freunde nach Prag gebracht. Vor der Stadt wurden vor den Wagen sechs Pferde aus den kaiserlichen Ställen gespannt, die den Verstorbenen in das Palais Schwarzenberg auf dem Hradschin brachte. Noch am gleichen Nachmittag wurde die Obduktion durchgeführt, aus dem Körper wurde die todbringende Kugel entfernt (sie ist mit der Bekleidung des Verstorbenen im Krumauer Schloß aufbewahrt), dann wurden nach damaliger Gewohnheit Eingeweide und Herz aus dem Körper entnommen, sie wurden dann in selbständige Gefäße gelegt und der Körper wurde einbalsamiert. Eine Woche später wurde der Verstorbene nach Wien gebracht, während das Gefäß mit dem Herzen nach Český Krumlov und das Gefäß mit Eingeweiden nach Třeboň befördert wurden. Die Beerdigungszeremonien fanden am 25. Juni 1732 statt und der Sarg wurde während der Zeremonie in der Familiengruft am Altar von St. Nikolaus von Tolentino in der Wiener Augustinerkirche beigesetzt. Im nächsten Jahr wurde dann der Tote, bis dahin in einem doppelten Holzsarg begraben, in einen prunkvollen Kupfersarg, von sechs Löwen getragen, übergeführt. Der Grabstein von Adam Franz ist dort bis heute zu sehen. Das Herz des Fürsten in einem Metallgefäß wurde am gleichen Tag in der Kapelle der St. Veitskirche in Český Krumlov begraben (wo es sich bis heute befindet), die Eingeweide dann in der Kleinen St. Ägidius- Friedhofskirche in Třeboň.
Amtliche Skizze der Situation, in der es zu der tödlichen Verletzung des Fürsten Schwarzenberg gekommen ist, aus dem Jahre 1732, auf der Aufnahme eine Kopie aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (sie wurde wegen der besseren Lesbarkeit benutzt). Der Buchstabe F bezeichnet das Haus des Faßbinders, in dessen Zaun die ersten Kugeln steckengeblieben sind, J den Weg nach Stará Boleslav, K die Position des Kaisers, M die Position des Fürsten Schwarzenberg, Q den Lauf der fünf gehetzten Hirsche.
Der Kaiser war sich bewußt, daß er an dem Tod des Fürsten schuld ist, und er bemühte sich darum, seine Schuld auf eine angemessene Weise wiedergutzumachen. Schon am 6. Juli 1732, keinen ganzen Monat nach der Tragödie, zeichnete er den zehnjährigen Joseph Adam, den Sohn des Opfers, mit dem Orden des Goldenen Vlieses aus. Weitere Gunstbezeigungen fanden bis zu seiner Volljährigkeit nicht statt.
Der Verlauf der tragischen Ereignisse wurde noch durch eine Sonderkommission untersucht, die schon mit Rücksicht auf die Stellung der einzelnen Personen zu keinem anderen Schluß kommen konnte, als daß es ein unglücklicher Zufall war. Die Untersucher stellten das Ereignis auf einer ausführlichen Zeichnung dar, die bis heute im Staatlichen Regionalarchiv in Třeboň Filiale Český Krumlov, erhalten blieb. Nach ihnen kam es bei der Aufstellung der Schützen zu einem verhängnisvollen Fehler, als sich der Kaiser und der Fürst unbewußt einander gegenüber aufstellten. Die Situation, daß ein Hirsch zwischen sie läuft und einer von ihnen den anderen durch einen Schuß bedroht, war dann eine Frage der Zeit. Man kann sich jedoch nur mit Mühe ausmalen, was geschehen wäre, wenn der verhängnisvolle Schuß von der anderen Seite gefallen wäre ...
(jz)